Zettelwerk

VirtuelleWelt

Des Demiurgen Traum und Wirklichkeit.

  1. OpenSimulator (kurz OpenSim) ist eine quelloffene Server-Plattform für virtuelle Welten. Mithilfe eines Clients (sogenannte Viewer) können auf einem Server gelegene Regionen betrachtet und bearbeitet werden. Dabei ist es möglich, dass mehrere Nutzer sich zur selben Zeit am selben virtuellen Ort befinden und miteinander interagieren.

  2. Der Demiurg: Das schöpferische Prinzip Gott, Baumeister des Kosmos.

Der Demiurg betreibt im OpenSimulator virtuellen Landschaftsbau. Dort erschafft er seine Welt, den Platz für Phantastereien aller Art.

Landscaping ist die schnoddrige englische Bezeichnung für einen Vorgang, bei dem man in OpenSimulator (bzw. Second Life) ein bestimmtes, begrenztes Terrain (d.i. eine Region) in eine bestimmte Landschaftsform bringt. Dabei geht es grössenmässig nicht um die vergleichsweise mickrige Umgestaltung eines Gartens, wie es der Landschaftsgärtner in der realen Welt zu tun pflegt. In der Virtuellen Realität hingegen bedient man als homo ludens indes ganze Regionen, mehr noch: Virtuelle Welten!

Zur Bearbeitung solcher Welten bedient sich der Demiurg bestimmter Werkzeuge, die die Viewer – Software zur Verfügung stellt; die sogenannten Landwerkzeuge (Land Tools). Mit ihnen kann virtuelle Landmasse bis weit unter den Meeresspiegel vertieft oder erhöht werden, sie kann danach geglättet, eingeebnet und aufgeraut werden bis eine Landschaftsform entsteht, die mehr oder weniger der eigenen Vorstellung entspricht. Und das Meer teilte sich und gewährte seinem Volk die Flucht. Der Demiurg schreitet gemessenen Schritt hindurch und lässt seine Werkzeuge spielen.

Danach können in die neu entstandene Landschaftsform weitere Objekte gesetzt werden: Flora, Fauna, Gewässer, Gesteinsformationen, Infrastruktur, Oberflächentexturen, Tageszeiten, Licht und Schatten. Die zur Verfügung stehenden Objekte kommen dabei als drei Typen vor, die in der Fachsprache Prims/Primitives, Sculpties und Meshes bezeichnet werden. Auch sie können vom Spieler virtuell erzeugt werden, so dass der kreativen Gestaltung vielfältige Möglichkeiten zur Verfügung stehen. Allerdings erzeugt man nur verbleibt man nur die Primitives mit den Bauwerkzeugen des Viewers, die beiden anderen Typen erfordern ein oft aufwendiges Konstruieren durch externe Software, deren Output dann wieder in den Viewer importiert werden muss; ein recht komplexer und aufwendiger Vorgang, oft von mässigem Erfolg begleitet. Das setzt dem eigenen Gestaltungswillen erste, den Narzismus kränkende Grenzen. Die Macht des Demiurgen endet: erst an den eigenen Fertigkeiten, dann an der vorhandenen Freizeit und schliesslich auch am vorhandenen Spielkapital. Doch davon später in aller Ausführlichkeit.

Es entsteht also je nach Können und verfügbarer Zeit eine Virtuelle Welt, die fast gelungen erscheint, die es aber unbedingt zu besiedeln und zu bespielen gilt. Das Roleplay wartet, die pädagogische und spielerische Verwertbarkeit ebenfalls: dafür wurde ja die virtuelle Welt schliesslich gebaut. Der erschöpfte Demiurg fühlt sich an die Bibel erinnert. “Und Gott sah alles, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut“, heisst es am Ende des Schöpfungsberichtes. Tatsächlich: Der Spieler ist ein kleines, selbstverliebtes Göttlein mit sehr weitreichenden Befugnissen. Er ist zum mächtigen Schöpfer und Herrscher über eine Welt geworden, die ganz die seine ist. Mit SEINER Welt kann er dann nach so viel kreativer Mühewaltung völlig nach Belieben verfahren, ohne an lästige Prozeduren demokratischer Entscheidungsfindung gebunden zu sein: sie kontinuierlich verändern, sie verwerfen, verschenken, zerstören, in den Datenrauchfang blasen. Der Demiurg regelt aber auch den Zutritt zu ihr. Ausnahmslos Alle, eine Gruppe oder aber nur sein Schöpfer dürfen sich zu ihr Zutritt verschaffen, schnell sind einige freche Zudringlinge vom Territorium (SIM, Grid) auf Zeit oder auf alle Ewigkeit verbannt, wenn sie sich nicht wohlverhalten. Das ist der nasse Traum jedes Potentaten.

Gerne wird deshalb der Demiurg seine Schöpfung erhalten wollen, aus Prinzip, aus Verlustangst, aus Routine. Tatsächlich kann diese digital gesichert, wiederhergestellt und dupliziert werden, und zwar mittels des OpenSimulator Archives (OAR). Zwar ist dieses Archiv per default auf eine Region beschränkt, es ist jedoch auch möglich, einen Verbund von aneinanderliegenden Regionen zu sichern (Multi-Region OAR). Wer sich ein Grossreich erschaffen hat, das nicht aus einer Region, sondern vielleicht aus 64 Regionen besteht, darf auch dieses behalten. Auf jeden Fall passt die geschaffene Welt auf einen Datenstick in die Hosentasche. Das sind fürwahr göttliche Verhältnisse. Der Weltenschöpfer kopiert sein Werk auf einen Datenstick und lädt das File auf einem anderen Server hoch. Fertig ist die Wanderung der Welt, die tatsächlich nicht so mühsam zu sein scheint, wie der Realist vielleicht glauben möchte.

Aber wie gross ist so eine Region, auf der man seine Realität gewordene Phantasiewelt erleben kann und wieviel “trägt” sie in ihr? In der Regel geht man von einer Standardregion aus, die 256 X 256 Meter misst und einen Eintrag von 15.000 Primitives verträgt. Zunächst scheint dies sehr gross zu sein; schnell aber geht der Platz aus, dringend braucht man noch mehr Platz für mehr Wald, Meer oder einen Tanzpalast. Mehr, grösser, besser! Bescheidenheit ist seine Sache nicht. Aus 1x1 Region werden dann schnell 2x2, 4x4 oder 8x8 Regionen. Die zugewachsenen Regionen aber machen die Bespielung der entstandenen Welt zum Humbug, zur Überforderung. Von einem Mini-Grid spricht man bei etwa 16 Regionen (also dem, was in etwa von einem Computer/Server geleistet werden kann). Der Anzahl von Regionen ist technisch keine Grenze gesetzt. Erstreckt sich ein Grid über mehrere Computer oder Server spricht man von einem Full Grid. Unmässigkeit aber führt, wie wir gelernt haben, zu Zerfall. Und so überziehen schal bebaute Regionen die Grids wie unbewohnte Hotelruinen. Den Schöpfungen der virtuellen Götter droht der Zerfall: sie bleiben unbesucht, sind unbesucht und nutzlos. Ein virtuelles Trauerspiel!

Die Leser:innen sehen also: wer sich eine virtuelle Welt erschaffen will, kann dies tun, technische Vorerfahrung, IT-Equipment und Phantasie vorausgesetzt. Für wenig Geld ist schon der Durchschnittsuser dabei. 256 mal 256 Meter Spielfläche? Nur die Einstiegsdroge für den Demiurgen. Doch ihm droht der Absturz aus den Lichten Höhen der Göttlichkeit überschätzt er seinen Macht.

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Im nächsten Beitrag: Teil 2: Ein Studio baut sich sein Vikingerdorf. Und lebt darin. Mehr schlecht als recht.

#OpenSimulator #Landscaping #Grid #VirtuelleWelt #Demiurg