059 Slamm it – NaNoWriMo, Tage 5 und 6

Ich nehme am nonawrimo22 teil und schreibe neben meinem Romanprojekt an einem begleitenden Tagebuch. Hier mein tägliches Resumee: Konzentration ist wichtig, aber auch Ablenkung ist notwendig, um Fortschritte machen zu können. Also habe ich mir die letzten beiden Abende auf Empfehlung von @edyssee@literatur.social das Finale des deutschsprachigen Poetry Slams 2022 angesehen.

Ich hoffte nicht so sehr auf Inspiration, als vielmehr auf angeregte Entspannung. Nicht zu klug, nicht zu dumm, nicht zu literarisch, nicht zu banal – “Gechillte” Stunden, wie man heute zu sagen pflegt. Jetzt, nach Ende der Veranstaltungen ist mein Resümee ernüchternd bis enttäuscht aggressiv. Und ich möchte das betonen: NICHT jugendfeindlich.

Zur Erklärung muss gesagt werden, dass ich nicht zur Slam-Community gehöre. Dazu bin ich wohl vierzig Jahre zu alt. Zu entfernt lebe ich von Jugend, Prekariat und Gaukelei, als dass die so genannten Poet:innen ungeteilte Begeisterung in mir hervorrufen könnten. Die Jugend ist mir mit der Zeit abhanden gekommen und ich bin wohl auch ein wenig froh darüber. Aber ich lache gerne und Tabuverletzung ist mir ein Plaisier. Eine Slammerin, die mir deshalb positiv in Erinnerung geblieben ist, kommt aus der Schweiz: die “frühe” Hazel Brugger, als sie noch aggressiv, tiefsinnig und schamlos war und auf ihr Publikum mit dem verschmitzten Humor vom Schlage eines Mani Matter losgeschlagen hat, “im Namen des Fötus, des Hohnes und des ewigen Spottes”. Auch zur Kunst hatte sie sehr Böses gesagt. Man sieht, ich mochte sie sehr, allerdings nur, bis sie begann, mit den vielen bösen Einfällen Geld zu verdienen und die Einfälle in Klamauk abrutschten. Stargast von deutschsprachigen Shows zu werden – was kann es Schlimmeres geben!

Dass so ein böses Talent auch beim diesjährigen Finale des deutschsprachigen Poetry Slams das Publikum verwirren könnte, war wohl insgeheim meine Hoffnung. Was das Sehen und Hören an den beiden Abenden aber charakterisierte, war die milde Prise gefälligen Theaters einer Nabelschau. Das muss wohl so sein im heutigen Amphitheater der Befindlichkeiten, wo man ständig fragen muss, wie es dem Gegenüber und vor allem, einem selbst geht.

Doch zur Kritik: Man mag man ein Bühnensetting in Wien, wie es etwa Volkstheater (Stadt) oder Burgtheater (Bund) bieten, durchaus schätzen – diese Orte dem Finale eines Poetry Slam anzutragen, ist jedoch Chuzpe. Es auch anzunehmen aber, ist der eigene Untergang. Der altmodisch-betuliche Rahmen einer bildungsbürgerlichen Institution tut der frechen Attitude jugendlicher Poesieversuche gar nicht gut. Seltsam verloren wirkte das Publikum in den beiden ausverkauften Häusern, unter den ständig auf- und abblendenden Lichtern eines so genannten “Bordmanagements”. Bühnenarbeiter nannte man früher dieses Personal in nichtgeschönter Absicht. Und dann noch die Reden der Politik, die in Österreich wie das Amen im Gebet daherkommen, wenn offizielle Spenden ihrem öffentlichen Förderauftrag nachkommen sollen. Dankbar lässt man zu, erträgt, was man insgeheim verachtet. Wie sich die Kulturstadträtin doch immerzu freute über alles, was da war, in ihrer keineswegs vorbereiteten Rede, die Hände in den Taschen!

Doch zur nächste Katastrophe dieses Abends: die Moderation, zumindest die des ersten Abends. Die Bühne nervös durchmessend, schreiend und mit peinlichen Witzen hausierend blasen zwei glitzernden Frauen ihre Doppelkonference zur Parodie einer Performance auf. Doch beides haben sie wohl nicht gelernt: Parodie wie Performance. Man schämte sich für sie, wird leicht aggressiv ob so viel Peinlichkeit, die auch den Slamer:innen zugemutet wird. Und auch die Moderation am nächsten Tag, die im Burgtheater übte, war nicht frei von Ungelenkheit, mit der das Moderator:innenpaar den Abend in Pedanterie und dümmlich-unbeholfene Dialoge tauchten.

Ist das die Show in der Show?, frage ich, die Parodie ihrer selbst? Doch nicht die Moderation zu feiern, ist das Publikum gekommen, sondern nur, um guten Slam zu hören. Doch auch hier wird es enttäuscht.

Licht auf und ab – aber nur, um Slam zu hören, um zu verfolgen, wie zornig junge Menschen auf ihre Umgebung losgehen, ihr Wahrheit in Poetik verkleidet um die Ohren schlagen. Junge, kreative Menschen waren das, die sich im Laufe ihres (an Lebensjahren) kurzen Bühnenwirkens wohl verblüffend viel an Rap, Sprechtechnik, Gestik, Wortspielerei und Selbstsicherheit angeeignet hatten, aber beim “Content” gerne und ausgiebig Klischees bemühten. Das ist die wirklich schlechte Nachricht dieser Übung. So waren es Beziehungsprobleme (schwul aufgehübscht), Ausgehsorgen (mit lokalem Slang untermischt), Körpersorgen (wie kann ich mich lieb haben?), Unsicherheit (Wie gehts mir beim Versagen?), vermeintliches Begehren (Ficken, Stossen, Lecken) – die uns vorgeführt wurden. Auch psychische Krankheit, gestörte Mutterbeziehung, sexuelle Gewalt und Wut auf die Welt kamen zum Vortrag: bitter für den Einzelnen, aber im Akt der Verallgemeinerung ein Problem, mit dem schon Jede:r einmal in seinem Leben konfrontiert war. Nichts Neues also inhaltlich und ästhetisch schon gar nicht. Das alles möglicherweise neu für die Poet:innen, ich will mich da nicht lustig machen. Aber ich wollte keine selbsttherapeutischen Praktiken beobachten: die gehören für mich anderswo hin. Alles an Leiden wurde angeboten im poetischen Ramschladen, alles, was uns in dieser schlechten Welt so Tag für Tag begegnet. Nur: es bedürfte weiterer, ästhetischer Verfremdung, um wirklich “poetisch” zu werden. Das aber können die selbsternannten Künstler:innen nicht. Mögen sie es doch dereinst lernen!

So bleiben sie pseudo-authentisch bis zur Selbstentblössung, die Slammer, die eigentlich hinschlagen sollen auf den Mainstream, aber doch nur sich selbst ins Rampenlicht und zur Selbstentblössung prügeln. In überbordender Emotion schrammen viele am Weinen vorbei, was ihr Recht sein mag und unsere Sympathie erregt: nur Poetik ist Emotion noch lange nicht. Mehr Lesen und Schreiben und Leben täte den Dichteraspirant:innen gut. Alleine aus sich selbst zu schöpfen, ohne die Ästhetik zu bemühen, ist immer viel zu wenig fürs literarische Geschäft.

Doch ich bin selber schuld daran, die Abende mit ihnen verbracht zu haben und mir davon auch noch ein wenig geistreiche Entspannung zu versprechen. So viel naives Zurschaustellen ist wohl zu viel für einen alten, weissen Mann. Der ist nicht cool und auch nicht woke und schon gar nicht gechillt, sondern nur mehr peinlich. Bildungsbürgerlich halt, ein böswilliger Humanist.

Das sieht man schon an seinen kläglichen Bemühungen, mit der er seinen Wörtern nachläuft: im Stillen, im Geheimen, nicht auf öffentlicher Bühne – ein Knecht des NaNoWriMo, an seinem Handwerk zweifelnd. Der sich mit der Anzahl seiner Wörter insgeheim brüstet, ohne sie genügend korrigiert zu haben. Der an einem Roman bastelt, welcher die Fortsetzung zweier Fremdromane ist. Der durch Artikel wie diesen, sein eigenes Unvermögen, breite Öffentlichkeit zu erreichen, zu kompensieren versucht. Ein abgehalfteter Kritiker und lausiger Kulturjournalist, Poet vielleicht, aber einer, den man nicht liest.

Doch er kann auch anders: Erwa überschwenglich loben das Lichtgestirn am engen Horizont des vergangenen Abends: das “Fick den Planeten!” nämlich. Ein Beitrag des Duos Wortwin und Slamson, mit dem die Generation von Klimarettern sich trefflich selbst parodierte. Doch das war wohl zu wenig für sechs Stunden, die ich sonst mit meiner Arbeit am Roman verbringen hätte können.

So fehlt es mir denn sowohl an Entspannung als auch an Fortschritt in meinem eigenen Streben. Doch das ist wohl so mit einer am Publikumsgeschmack gereiften Abendunterhaltung. Dass man Lebenszeit in die Luft geblasen hat und das für Nichts, das ärgert indes den Autor dieser Zeilen sehr. Denn das, was die Welt unter Poet:innen und Künstler:innen versteht, ist wohl nicht das, was die Begriffe an Umfang vermitteln. “Aufgepimpt” muss werden, alles was da kreucht und fleucht.Dass Kunst von Können und Übung kommt, das darf man am Schluss wohl sagen.

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