049 Wider die Fiktiokratie

Es gibt sie auch noch anderswo, die Fiktionauten (“The Fictionauts”), nicht nur in meinem Blog. Und sie sind bei Weitem heldenhafter und weniger naiv als dieser Autor. Sie beherrschen ein argentinisches Comic und durchkämmen den “riesigen metaphysischen Raum der Literatur”, um die Welt vor gefährlichen Anomalien zu schützen. Gefährlich wird es, wenn Geschichten einander überlappen. Brandgefährlich ausserdem ein Agent namens X, der die Barrieren zwischen Fiktion und Realität zerstören will.

Damit sind wir wieder bei der Frage, inwieweit die Bedrohung der Realität durch Fiktion in den Blick genommen werden muss, wenn man als Fiktionaut den literarischen Raum durchkämmt. Wo sind die Grenzen zwischen Wahrheit und Erfundenem, wann beginnt die Fiktiokratie ihr Unwesen zu treiben? Gibt es Agent X nun wirklich?

Nun, er ist ein Synonym für Kräfte, die durch fortgesetztes Storytelling und die Errichtung transmedialer Welten ein politisches System geschaffen haben, in der die Trennung zwischen Fakten und Fiktion aufgehoben wird. Ein Traumland im Dienste politischen Missbrauchs. Journalismus und Storytelling haben begonnen, einander zu überlappen. Das Narrativ ersetzt Information, Medien gerinnen zu Entertainment. “Trump Bump”, der Umgang mit der Wahrheit in Zeiten eines abgehalfterten Schauspielers ist nur ein Beispiel. Aber auch in Österreich dürfen wir den politischen Eliten bei der Aufführung ihres Schmierentheaters assistieren. Meinungsforschung und Medien sind gekauft, um das Narrativ politischen Heils zu verbreiten. Verlogenes Narrativ und Korruption überall. Die Journaille erzählt Geschichten und verleugnet Fakten, das wird tausendfach verbreitet auf allen Kanälen. Grasser, Strache, Kurz & Co sind in Wahrheit keine Politiker gewesen, sie haben sie bloss gespielt. Denn das ist das Wesen der Fiktiokratie, dass sie das Geschichtenerzählen für Politik und Journalismus missbraucht. Das ist nicht dumm sondern verschlagen. Mittlerweile plappern die Lämmer unter uns den Stumpfsinn nach.

Der Fiktionaut wirkt ob solcher Chuzpe wie ein Waisenknabe der grossen Welterzählung. Gebildet aber macht- und mittellos stellt er den Anspruch, das literarische Handwerk zu beherrschen und die Geschichten der Welt erzählen zu können. Doch er erzählt dem Publikum kaum Interessantes, nur Hirngespinste einer längst verlorenen Welt. Er führt der Welt die eigene Impotenz vor Augen. Verhöhnt und vom Rand aus atmet er den letzten Hauch der Wahrheit, irrlichtert zwischen Skylla und Charybdis. Zwar (be)nutzt auch er die vielgesichtige Fiktion, jedoch nicht in Eigennutz, sondern um kosmische Wahrheit zu befördern. Das ist naiv und vergebliches Bemühen. Er spielt den Fiktionauten nicht, er ist tatsächlich einer. Indes waltet draussen Brandgefährliches für Demokratie und Existenz, unmässige Geschichten bestimmen Zeit und das Geschehen. Im Kopf des Fiktionauten schillert jedoch die verlorene Welt der Bücher. Er liest, wie in einem letzen Aufbegehren, Irene Valejos “Papyrus”. Fiktionautin auch sie. Man bleibt in dieser Zeit sehr gern nur unter sich. Man verachtet Dummheit ganz zuförderst.

Bestemm heisst die Devise und stolz Sein auf die eigene Profession. Auch wenn das Zettelwerk niemand lesen mag, es wird weiterhin geschrieben: Stück für Stück, Tag für Tag, Wahrheit für Wahrheit. Mögen 50, 100, 1000 Zettel folgen. Nieder mit der Fiktiokratie, es lebe die Fiktion!

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