043 Die Schönheit des Klopapiers

Worüber man denn alles nachdenken und schreiben kann! Manchmal sollte man einfach die Augen schliessen, um sich selbst zu schonen!

Bregenz. Auf ein Bier im Vorarlberg Museum. Die Ausstellung, die bis Mitte Oktober läuft, heisst Beauty von Stefan Sagmeister und Jessica Walsh. Sie interessiert mich nicht, doch offenbar kann ich ihren Ausläufern nicht entgehen. Denn selbst auf dem WC herrscht der ungebrochene Wille, Schönheit zu thematisieren.

An der Wand im Souterrain überrascht die Besucher ein schmuck unterlegter Hinweis auf das Thema “Museum und Toilette”:

Der französische Schriftsteller Thèophile Gautier (1811-1872) glaubte, wenn etwas gut funktioniere, könne es nicht gleichzeitig schön sein. Er fragte: Was ist der funktionalste Raum eines Museums? Und antwortete: Die Toilette. Die Toilette ist selten der schönste Raum.

Für diese Erkenntnis hätten wir Herrn Gautier wohl nicht gebraucht. Doch damit nicht genug. Ich wende mich nach rechts und öffne die WC-Tür. Auf einem übergrossem Schild werde ich in weisser Schrift aufgefordert: “Verwenden sie die Rolle, die Sie am schönsten finden!” Darunter drei Rollen Toilettenpapier, eine davon in einer Ornamentik, die von Sagmeister & Walsh stammt. Das immer wiederkehrende Motiv auf dem mittelweichen Papier ist ein stilisiertes Häufchen in Braun. Diese derart beschönte Klorolle darf man im Museumsshop gegen gutes Geld kaufen. Wie originell! Beauty, wie es Neonlicht im Eingangsbereich andeutet, ist ein Arrangement “to please the aesthetic senses, especielly the senses”.

Wenige Wochen zuvor war ich im bekannten Künstlerbedarf-Supermarkt namens Boesner und wurde auch dort von Kunstschönem überrascht. Am Sims oberhalb der Toilettenschüssel thronte eine Skulptur mit einer vergoldeten Rolle Klopapier. Etwas barock und kitschig, wie man zugeben muss, aber ebenso ein Zeichen von verwirrtem Gestaltungswillen.

Man kann derart künstlerisch verbrämtes Wirken natürlich der Dekadenz einer Gesellschaft zum Vorwurf machen, die nicht mehr weiss, wie sie Aufmerksamkeit erregen soll in der Kakophonie ihrer medialen Durchdringung. Doch das hiesse, dieser Art von Unternehmung eine Beachtung zu schenken, die sie nicht verdient. Denn dekadent sind aus meiner Sicht Alltagsgegenstände wie SUVs oder Nespresso Kapseln: beide tragen kräftig zur Verschwendung bei, sie sind deshalb entsprechend Ernst zu nehmen.

Dekadenz darf man hingegen den Kloverschönerungsagenten nicht zum Vorwurf machen. Beim Versuch, den wohl funktionalsten Ort der Welt mit so etwas wie Schönheit und ästhetischem Genuss zu durchdringen, sitzt man nämlich allein der Aufforderung zu penetranter Selbstverliebtheit auf. Und diese befindet sich auf Stufe der von Freud beschriebenen Analität. Ausscheidungsvorgänge mit pseudokünstlerischen Inszenierungen zu vergolden ist infantil und geschmacklos.

Eine Erinnerung wird wach an die Zeiten, wo man in Wohngemeinschaften Gästen gerne sein WC mit einer kleinen Handbibliothek, bestehend aus linksliberalen Zeitschriften, kritischen Büchern und witzig progressiven Sprüchen angeboten hat. Man war stolz, auch auf dem Klo intellektuell zu sein. Auch hier hat es bedeutet, Perlen vor die Säue zu werfen. Nie habe ich auch nur eines dieser Druckwerke in die Hand genommen.

Man komme mir jetzt nicht mit der berühmt-berüchtigten Aktion (“Uni-Ferkelei”) des Wiener Aktionismus des Jahres 1968! Denn obwohl Mann auch hier nach Kräften ästhetisierte, beschönigt sollte dabei nichts werden. Es ging um die Kritik des Ganzen.

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