037 Die Sonne als Sympathieträgerin
Lustbarkeiten vom Sonnenstudio bis zum Solar Orbiter. Ode an ein gefährliches Ding.
Ich bin in einer Zeit gross geworden, in der man die Sonne bedingungs-los angebetet hatte. Jeden Samstag morgen nahm die Mutter ein Sonnenbad auf dem Balkon: ihre Haut wurde im Lauf der Sommers lederartig. Das war gesund. Sonnencremen besassen den Nimbus, etwas für Weicheier zu sein. Hautkrebs nahm man gerne in Kauf. Das war eben das Risiko, ähnlich wie Lungenkrebs bei Rauchern: die einen bekamen ihn, die anderen nicht.
NachrichtensprecherInnen ihrerseits jubelten, wenn sie Temperaturen um die Dreissig Grad Celsius für den kommenden Tag prognostizieren durften. Sie bezeichneten dies als “Kaiserwetter”. Den Kindern gab man aber bei 32 Grad Celsius Mittagstemperatur schulfrei. Das war damals bei uns “Affenhitze”. Sonnenanbeter nannte man jene Personen, denen ungehemmtes Sonnenbaden maligne Melanome und den unverhohlenen Neid der Anderen schenkten. Die Sonne war beliebt, Bewölkung der Feind. Jogafreunde übten den Sonnengruss. Läuferinnen liefen auch zur Mittagszeit. Eine Generation skandierte im Zeitalter des Aquarius den Refrain “Let the sunshine in ...”, oft unter dem Einfluss harmloser und weniger harmloser Drogen. Auch politisch genoss die Sonne durchaus Anerkennung: sie wurde, auf Stickern drapiert, zum Symbol der Anti-Atomkraft-Bewegung. Die Sonne: eine Sympathieträgerin!
Die erste Begegnung mit der Unbarmherzigkeit der Sonne hatte ich als Erwachsener im Norden Pakistans. 43 Grad Celsius waren selbst dem Abenteurer zu viel: fast wäre ich nach einem langen Fussmarsch durch die glühenden Strassen Peshawars kollabiert. Einheimische rieten mir besorgt, über Mittags nicht auf die Strasse zu gehen und draussen immer meinen Körper zu bedecken. Ich schaffte mir einen Salwar Kameez an, Jeans zu tragen war dem Körper nicht zuzumuten. Das Swimmingpool im örtlichen Hilton-Hotel wurde im Sommer gekühlt, das Wasser blieb hartnäckig brackig warm. Nur die stundenlange Fahrt in die Berge im Norden war eine seltene, aber wohltuende Übung.
Urlaube im Süden schulten mich ab diesem Zeitpunkt darin, den Sommer mit Misstrauen zu behandeln. Dann jene Nachrichten aus Australien, die erschütternd waren: Schafe erblindeten, wegen des Ozonlochs über dem Südpol. Hitzewellen da und dort und immer öfter, Waldbrände in aller Regelmässigkeit. Die Klimakatastrophe wurde immer offenbarer. Menschen in den USA starben, wenn ihre Klimaanlagen ausfielen. Noch verursachte das Kopfschütteln. Die Sonne war zur Feindin der Menschheit geworden. Diese Entwicklung ist bald schon unumkehrbar. Dennoch brabbeln manche schwachsinnig, dass Sommer immer schon heiss gewesen seien.
Heute gehöre ich wegen meines Alters zu jener Personengruppe, die von einer hitzebedingten Übersterblichkeit bedroht ist. Temperaturen um die vierzig Grad gibt es im Juli und August nun auch in Wien. Die Stadt wird zum Hitzepol Mitteleuropas. Die Stadtverwaltung hingegen setzt auf Stadtautobahnen und einen Tunnel unter dem Naturschutzgebiet Lobau. Auf den Strassen werden Wassersprüher aufgestellt. Sonst gibt man sich verhalten hilflos.