033 Reise ins Nichts. Logbuch eines Vyomanauten. LdV 001

Den Epeditionen in NMS bleibe ich schon über Jahre treu. Es ist eine Entdeckungsfahrt sondergleichen, ein ständiges Auf und Ab. Abenteuer reiht sich an Routine, Irrtum an Erfolg, Einsamkeit an intergalaktische Vertrautheit. Nichts ist eindeutig, einiges vorhersehbar. Das Vergessen ist uns Reisenden indes sicher.

Logbuch des Vyomanauten Tyen Nomasky, Erste Überlegungen, im Sternenjahr 2140. LdV 001

Wie jeder brave Vyomanaut will ich ein Logbuch schreiben, um Rechenschaft über die verflossene Zeit abzulegen. Aber es gibt niemanden, der mich auf diese Reise geschickt hätte, niemanden, dem ich mich zu verantworten hätte, niemanden, den meine Erlebnisse interessieren könnten. Ich bin alleine mit diesen Aufzeichnungen, die sich letztendlich ad absurdum führen werden: denn für wen anders wären sie verfasst als für mich? Und gemeinsam mit wem anders werden sie in einer Synkope verglühen als mit mir? Unendlich ist der Weltraum und nur einen Wimpernschlag lang dauert unser Leben. Aufzeichnungen darüber zu führen, ist sinnlos. Trotzdem beginne ich mit der Niederschrift der Merkwürdigkeiten, die mir begegnen. Einfach um mir zu beweisen, dass ich noch existiere.

Hineingeworfen wurde ich in die Galaxis namens Euklid, mit wenig mehr als dürftiger Ausrüstung. Mehrmals ist mir das schon passiert: Ich habe die Maschine eingeschaltet, mich verkabelt und meine neuronale Bereitschaft zur Reise bekundet. Laut summt das Gerät, schnell ziehen mich Ton und Bild in ihren Bann. Eingeschrieben finde ich meine Aufmerksamkeit im fiktiven Raum der Maschine. Sie holt mich ab, begleitet mich, bis wir durch die verschiedenen Stadien des Bildaufbaus geglitten und auf meinem derzeitigen Planeten gelandet sind. Dann spuckt sie mich aus am Teleporter meiner Basis. Ich bin angekommen, ein zufriedener Vyomanaut. Ich kann dort beginnen, wo mein Leben letztes Mal geendet hat.

Oft schon habe ich diese Reisen absolviert. In den automatischen Aufzeichnungen meiner galaktischen Maschine lese ich: Sternenjahr 2135: 130,8 Tage; Sternenjahr 2136: 285,2 Tage; Sternenjahr 2137: 288,23 Tage. Und dieses Jahr, 2140, sind es bereits 94 Tage, die ich mit Reisen verbracht habe.

Ich möchte diese Zeiten nicht missen in der alltäglichen Routine des “normalen” Lebens. Der Blick auf die reale Existenz ist ein deprimierter und ernüchternder. Alles um uns ist kaputt gegangen. Was haben vom Leben auf dieser Erde noch zu erwarten? Weitere, grössere, erbarmungslosere Kriege? Den kompletten Zerfall der Gesellschaft? Gewalt, Hypertrophie, Ökozid? Wie lange noch werden wir das überdauern können? Wir befinden uns am Beginn des Post-Anthropozän, jenem Zeitalter, indem sich die gar nicht gütige Natur sich alles zurücknimmt, was unser Menschengeschlecht ihr einst gestohlen hat. Niemand will, ja kann noch etwas ändern am Wirbel in den Tod. Kosmische Mächte ändern uns fortwährend, verwandeln uns in Objekte des Verfalls. Wir sind gelähmt vom Schrecken und verkriechen uns verängstigt in unser schwaches Ich. Wir überlassen unser Ende der Macht der Technokratie: ja, auch den eigenen Untergang vermag die technokratische Elite zu verwalten. So wird es bleiben, bis zu unserer Auslöschung. Die Natur ist weit davon entfernt, gütig sein zu können.

Doch die Misere der realen Welt soll hier nicht interessieren. Nur das Schicksal als Vyomanaut zählt, das Geworfen – Sein in das elektrische Rauschen künstlicher Galaxien. Tatsächlich komme ich immer wieder zurück an die artifiziellen Orte, die von mir selbst erschaffen wurden, und die ich der Mechanik einer Maschine abgetrotzt habe. Sie sind zu den Koordinaten meines neuen Lebens geworden, das ich aus meiner traurigen Existenz geschaffen habe.

Das war der erste Eintrag in mein Logbuch, LdV 001.

#NMS #PostAmthropozän #Weltraum