051 Neuhier – Pöbelei
Ach, wie schlimm! E.M. hat einen Scheck gezückt und zum zweiten Mal den Exodus bewirkt. Wieder bevölkern Neuhiers das Fediverse. Das ist keine gute Nachricht. Unruhe im Karton, fast eine Vertreibung aus dem Paradies, für die Altvorderen. Aber auch diese werden rege. Es summt wie in einem Bienenstock und verlegt die Stimme der Vernunft. Man möchte angesichts des Massenauftriebs sich gerne ins Web 1.0 verziehen. Doch schreien muss man stattdessen, bei all dem Remmidemmi.
(1) Vampirismus macht sich breit. Unter dem Deckmantel der Hilfeleistung empfiehlt man den Neuen ein adrett ausgefülltes Profil, Hashtags, Geduld und ein demütig-gehashtaggtes Neuhier. Gleichzeitig schwärmen hinter dem Vorwand zu leistender Hilfe die Vampire aus und graben ihr Gebiss ins Gewebe der Neulinge. Frischfleisch, endlich! Denn die Neuen sollen zunächst die ausgestreckte Hand ergreifen und danach den Rettern folgen: auf Gedeih und Verderb und so ganz naiv. Hilfeseiten spriessen wie die Schwammerln aus den dezentralen Ritzen, in der Hoffnung auf Bindung. So ein Massen Exodus vom Vogelkäfig bringt unterm Strich zig neue FollowerInnen ein. Zum Halali geblasen und ran an den Speck!
(2) Im Übrigen leben wir im Paradies. Alle sind so nett hier, hilfsbereit, offen, wenn auch mässig interessant. Hauptsache kommunikativ. Das Fediverse ist die Beste aller Welten, weil alternativ und dezentral. Privat und dezentral und Open Source, wie toll! Die Technik mit dem Inhalt verwechseln, das Medium mit der Message. All jene, die von alternativen Medien brabbeln, sei die schlechte Nachricht vorgetragen: Auch die Rassisten und rechten Verschwörungsfritzen basteln an ihren Alternativen und machen genau wie wir auf dezentral. Gegen den Staat und wider die Nachverfolgbarkeit! Ein wenig Anarcho, manchmal von Links, dann von Rechts und dann von den Durchgedrehten. Wir lernen daraus: Es kommt wohl mehr auf den Inhalt an und auf die Strategie! Nix ist gut, solange es nicht im demokratischen Dauertest besteht. Paradise Lost, forever!
(3) Alles ist so neuhier. In schön! Und auch die Fedikätzchen sind sehr süss! Neben den Vampiren treiben also auch die Kuschelmonster ungehemmt ihr Unwesen. Infantilismus macht sich breit in der Glückseligkeit. Allerliebste Leute verwechseln öffentliches Sprechen mit kindlichem Lalala. Da fallen Infantilismen wie etwa Flauschis, Tröten, Fedifanten! Am Liebsten möchte man sich im Schritt anfassen vor Sehnsucht nach dem gemeinsamen Glück. Im Paradiese angekommen, sind wir jetzt ganz unter uns, ihr Lieben! Das aber ist ne Höllenfahrt. Merke: Auch so kann man ein Medium zu Tode quälen: indem man das Öffentliche mit dem Privaten verwechselt und umgekehrt. Journalling statt Journalismus, das macht so richtig Laune.
(4) Und dann das Anspruchsdenken! Da raunzen sie herum die woken Menschen jedweder Orientierung. So sagt man gerne und mit raunzigem Gestöhne: Jetzt bin ich hier schon angekommen im Gelobten Land und ich hab Langeweilie! Macht was dagegen, sonst bin ich enttäuscht und drohe mit dem Abgang. Ausserdem: Ich kenn mich gar nicht aus in dieser ach so wirren Welt. Alles ist so kompliziert hier ohne Algorythmus, der mir einst die Happen löffelweise ins Maul geschoben hat. Content produzieren? Das sollen die Anderen machen. Ich lehn mich gern zurück und lass der Welt die Arbeit tun. Bin ein Geniesser, gar eine Philosophin. Mir trägt man alles zu. Im Übrigen (nun mit hasserfüllter Stimme): Scheiss auf alle, die mich gängeln. Regeln sind der Tod meines gepflegten Selbst!
(5) Am Besten Alles haben und auf Nichts verzichten! Sich ja zu nichts entschliessen müssen. Mal kurz da genippt, dann dort ein Leckerli genommen. Wankelmütig, unentschlossen, die Miene angesäuert. Natürlich: Crossposting vom Feinsten, man kann sie ja auch hier ganz fest verankern: die Youtubers und Twitteranten und sonstige Mainstream Konsumenten. Jeder Click eine Überraschung! Wo man denn überall landen kann!
(6) Si tacuisses, philosophus mansisses!