017 Das Schlaatemer Bähnli
Von 1905 bis 1964 führte eine elektrifizierte Strassenbahn von Schaffhausen über Siblingen nach Schleitheim. Nie richtig erfolgreich wurde sie nach 60 Jahren eingestellt.
Wir sind es gewohnt, Strassenbahnen eng mit dem urbanen Leben zu verknüpfen. Eine Tram, die sich mit der Anbindung an eine Stadt meist im ländlichen Raum bewegt, über eine Strecke von fast 19 km, das ist aussergewöhnlich. So etwas wäre heute eine Fremdenverkehrs-attraktion ersten Ranges, beliebt bei Erholung und Abwechslung Suchenden, aber möglicherweise auch bei PendlerInnen und Schulkindern.
Etwas Handfestes, Zukunftsorientiertes, verbunden mit dem Blick in eine wunderschöne stille Landschaft. Stattdessen rauschen heute Hochleistungsbusse, Autos, landwirtschaftliche Maschinen und die trotz Klimakrise so nachgefragten protzigen SUVs an uns vorbei. Wir aber quälen uns mit Fahrrädern im Verkehr dahin.
So eine Tram im Grünen, die gab es im Klettgau in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Sie hiess Schleitheimer Bahn (Schleetamer Bähnli). Von 1905 bis 1964, also 60 Jahre lang, fuhren elektrifizierte Waggons von der Hochrheinbahn quer durch Hügel und Ackerland, entlang der Wälder des Randen durch die Dörfer Beringen, Löhningen, Siblingen und Schleitheim. Das war die nördlichste Tram der Schweiz, wie man immer wieder mit Stolz bemerkte. Bis nach Deutschland hat sie es allerdings nie geschafft. Passagiere beförderte sie, aber natürlich diente sie dem Gütertransport. Die Kapazitäten waren recht ordentlich: 1937 lagen sie bei rund 270.000 beförderten Personen, 1945, aufgrund der allgemeinen Treibstoffknappheit bei rund 600.000 Personen.
Transportiert wurden nicht nur Leute, sondern zum Beispiel auch Holz oder Milch und Gerätschaften, und natürlich auch Tiere. Davon hatte die Nase auch immer etwas! Da gab es die wöchentlichen Schlachttransporte, aber auch die berührende Geschichte, wo ein Tramchauffeur bei Nacht und Nebel nochmals ausrückte, um eine einzelne Kuh in Schaffhausen abzuholen und sie nach Schleitheim zu bringen!
Doch die Bahn war trotz ihres ländlichen Charmes und des nie enden wollenden Druckes der Schleitheimer nie ein Kind des Glücks. Sie war, auch im übertragenen Sinn, eine rechte Schmalspurbahn. Schon ihre Geburt war von einer Kette an Vorhaben, Widerständen und Versäumnissen geprägt, die finanzielle Ausstattung im Laufe ihres Lebens blieb bescheiden und die zunehmende Automobilisierung verdrängte sie dann bald von der mit den Autos über Strecken gemeinsam genutzten Trasse.
Wenig Artefakte blieben von der Bahn erhalten, ein Stationsgebäude, ein Güterschuppen, ein Depot und allen voran die charmante Haltestelle an der Silblinger Höhe. Letztere darf dem Nachfolger des Bähnlis, einer Buslinie, noch immer als Wartehäuschen dienen. Und letzthin, weil ja die Bahnnostalgie wieder auflebt, hat ein Siblinger Ehepaar einen der alten Waggons gekauft und zu einem Bahnhof-Bistro umgestaltet. Im Angebot: Kaltes Trämliplättli und Trämli Chässchnitte. Die Vergangenheit dient wie so oft als nostalgische Fremdenverkehrsattraktion, aber nicht als Aufforderung zu einem Neudenken von Verkehrspolitik in Zeiten dieser bereits fassbaren Klimakatastrophe.