020 Bedeutsamkeit in der Föderation: eine Publikumsbeschimpfung.
Wen die Aufgeblasenheit von BedeutsamkeitsträgerInnen im Fediverse stört, dem sei Social Media Abstinenz dringend angeraten. Denn dezentrale Netze schützen nicht vor der Unendlichkeit von Dummheit, die wie Zuckerwasser jede Ritze des Palavers durchdringt.
Manchmal widern mich Postings ungemein an. Das ist, so meine ich, ein ganz natürlicher Prozess. Er ist möglicherweise der Tatsache geschuldet, dass ich schon viel zu lange erleben muss, wie sich Leute ungefragt in den Vordergrund drängen und dort posieren. Das wiederum ist eine Frage des Lebensalters und der damit verbundenen schlechten Erfahrungen.
Pech gehabt: So sind die Leute im Panoptikum der Öffentlichkeit einfach. Sie sprechen so laut, dass uns die Ohren dröhnen. Sie bersten dabei vor Selbstliebe und Bewunderung ihrer kleinen Existenzen, tun dabei so, als hätte es vor ihnen noch nie jemand Interessanteren gegeben. Mit stolzgeschwellter Brust paradieren sie vor uns, wie sprichwörtliche Pfauen. Viel buntes Gefieder aber doch nur ein Vogel wie andere. Dumme Menschen sind es einfach, aber sehr enervé. Gegen sie ist kein Kraut gewachsen.
Um der tiefsitzenden Abneigung und die eigenen Misanthropie auf die Spitze zu treiben, kann man Dummheit natürlich auch in Gruppenphänomene katalogisieren.
- Die Vernetzer. Sie geben vor, die Welt in ihren Händen zu halten. Ihr Fetisch ist die Kommunikation. Was kommuniziert wird, ist dabei nicht wichtig, jeden Stumpfsinn weben sie ein in ihr Tuch des überflächlichen Weltverständnisses. Sie geben vor, all das zu tun, was das gewöhnliche Fussvolk eigentlich mit jedem Posting leistet: Content Management. Content egal, Tun als Management verkleidet, über alles. Sie sind die Gschaftelhuber des Internet, reposten unentwegt. Überlegt Schweigen und Bedenken ist ihre Sache nicht.
- Die Woken. Sie haben den politischen und gesellschaftlichen Verhaltenskodex so weit fermentiert, dass er vor Gesundheit zum Himmel stinkt. Ihre Moral ist wie Hochleistungssport: auf die Spitze getrieben aber dem Wesen nach gesundheitsgefährdend. Über alles Diverse wissen sie Bescheid. Ganz oben auf der Pyramide der gesellschaftlichen Verantwortungsträger präsidieren sie sich mit einer langen, langen Liste woker Themen und Spitzfindigkeiten. Ginge es nach ihnen, wäre die Welt schon lange verschlimmbessert.
- Die sprachlich Versauten. Sagen wir es ungeschönt. Ihre Sprache ist versaut, ihre Ausdrucksfähigkeit im ewigen Jugendslanggestammel stecken geblieben. Wenn sie etwas loben, fallen ihnen nur Vokabel wie “finde ich gut”, “ist cool” oder “geile Sache” ein, die schreiben sie dann auch, meist mit Hashtag. Das ist, wie wenn man das Wort und mit Raute versähe. Das Problem dabei: ihnen ist nicht bewusst, wie beschränkt ihr Vokabular und damit ihre Welterfahrung ist. Ihr Mitleid ist ein dummes: es tut ihnen leid, dass man etwas nicht geil finden kann.
- Die Überheblichen. Hie und da fällt ihnen Kluges ein, auch wenn manches davon gestohlen ist. Fragt man als Interessierter nach, ist man schon in die Falle geraten. Die Zeit für Belehrungen ist gekommen, von oben herab, mitleidig fast. Man hat den Eindruck, dass man falsch gefragt hat, doch umgekehrt. Wie einen Bissen Brot wird die Frage geschluckt und unverdaut aber arrogant zurückgespuckt. Pfui Deibel, sind diese Menschen ekelig.
- Technofetischisten. Sie sind mir die Liebesten, den mit ihrer dem Programmiercode ähnlichen Sprache richten sie sich nur an sich selbst und ihresgleichen. Denen wollen sie gefallen im immer schärfer gewordenen Kampf um den besten Schmäh. *Nerdiges Gehabe, ja, aber immerhin eines in einer fest verteidigten, hermetisch geschlossenen Blase. Die Worte schaden beim zufälligen Hineingeraten nicht, auch wenn sie einem nichts nützen. Männerdominiert, ja, aber auch Frauen dürfen sich da hineinarbeiten.
Man möchte sich, angesichts dieses menschlichen Panoptikums und des damit für einen selbst verbundenen Leidensdrucks wie bei Heimito von Doderer einer der seltsamen Heilkuren des Psychologen Dr. Horn unterziehen. Sich dabei an der schmerzhaften Nasenzange vorführen lassen, damit die Wut, die uns aus den sozialen Medien überfällt, noch verstärkt wird. Solchermassen in unkontrollierbare Rage gebracht, kann sie von erfahrenen Psychologen behandelt und vielleicht gemildert werden.
Doch auch einem anderen Problem entkommen wir durch die Beschreibung der Dummheit nicht. Dass wir, die wir die Dummheit der Anderen behaupten und beschreiben, uns unserer eigenen Fehlbarkeit elegant entschlagen. Darauf hat schon Robert Musil hingewiesen. Ich weiss allerdings, dass ich Andere mit meinen Gedanken nerve. Und das ist doch schon etwas auf dem Weg der Verbesserung des Metaverse.